Inspirierendes Lissabon
In den Herbstferien waren wir fünf Tage auf einem Städtetrip. Nach einigem Hin- und her, „London ist toll“ –„zu kalt“ „Paris ist romantisch“ – „stimmt, aber die Einwohner verstehen mich nicht“ „in Rom war ich noch nie“ – „ich schon“ „Wien?“ – „ja, Wien ist klasse“, fuhren wir schließlich nach Lissabon.
Ich glaube, Lissabon ist der offizielle Geheimtipp des Jahres 2017. Jeder war in den letzten zwei Jahren mindestens einmal dort oder wird demnächst hinfahren.
Was soll ich sagen, Schwarmintelligenz, die geniale Erfindung der Natur, hat Recht: Lissabon ist eine Reise wert. Klein und mit rund fünfhundertzehntausend Einwohnern überschaubar gemütlich, gibt sich die Stadt bescheiden und zurückhaltend. Anders als in anderen Hauptstädten gibt es kein It-piece – must-know-Wahrzeichen, nichts ist vergleichbar mit Eifelturm, Kolosseum, Big Ben oder Spanische Treppe. Stattdessen gibt es viele besondere Dinge und die gesamte Stadt im Ganzen ist eine einzige Sehenswürdigkeit.
Das Flair ist sehr europäisch, wenn man kein Portugiesisch spricht, kommt man mit Englisch, Französisch oder Spanisch weiter. Ich bin ein großer Fan romanischer Sprachen, deshalb lauschte ich verzückt auf alle Gespräche um mich herum und folgte jeder Ansage in Bus und U-Bahn aufmerksam.
Nicht nur akustisch war die Reise ein Traum, auch optisch gab es ständig neues zu entdecken. Sehr beeindruckend fand ich die Wegpflasterungen, die Calçada portuguesa. Fast alle Straßen und alle Plätze sind mit phantastischen Mustern aus weißem Kalkstein und schwarzem Basalt gepflastert. Dabei wiederholen sich die Muster nicht, auf jeder Straße gibt es etwas anderes zu sehen.
Die Mosaikkunst beschränkt sich nicht auf monochrome Straßenpflaster. Die Fliesenkunst, typisch für Portugal, gibt es natürlich auch in Lissabon. Unzählige Farben und Muster, ganze Hausfassaden oder nur vereinzelte Dekoelemente gibt es an jeder Ecke zu bewundern. Ein inspirierendes Fest für die Sinne, vor allem wenn man wie ich in Strickmustern denkt.
Apropos Strickmuster. Mitten im Herzen Lissabons befindet sich ein kleiner, verträumter Wollladen. Das Retrosaria von Rosa Pomar. Ohne den Insidertip von Sabine, aka Miss Knittington, hätte ich ihn niemals gefunden. Durch ein enges dunkles Treppenhaus gelangt man in den kleinen, im zweiten Stock gelegenen Laden. Ich habe nicht fotografiert, da Rosa Pomar online gut unterwegs ist. Wer mal schauen möchte, hier klicken: retrosaria.rosapomar.com
Der Laden von Rosa Pomar ist kein Null-Acht-Fuffzehn-Durchschnittswollladen, wie es sie tausendfach gibt. Keiner dieser ewig gleichen Wollanbieter, mit dem überall erhältlichen Woll-Einheitsbrei. Bei ihr gibt es (fast) keine bekannte Marke, stattdessen Wolle von vielen kleinen Herstellern, oftmals handgefärbt und handgesponnen. Nach altem traditionellem Handwerk irgendwo in Europa produziert. Teilweise auf großen Konen angeboten. Das alleine ist schon sehr besonders. Aber damit nicht genug führt sie außerdem Wolle seltener portugiesischer Schafrassen. Von den insgesamt vierzehn portugiesischen Schafrassen sind einige vom Aussterben bedroht, verdrängt durch importierte Rassen, die ertragreicher sind. Rosa Pomar unterstützt mit ihrem Angebot die Artenvielfalt. In Zeiten täglich weiter zurückgehender Biodiversität eine wertvolle Arbeit.
So gerne ich diese Arbeit unterstützen wollte, konnte ich keine der Qualitäten kaufen, weil sie so kratzig waren. Ich wusste gar nicht, dass es so kratzige Wolle noch gibt. So nett die Portugiesen, so kratzig ihre Schafe…
Statt mich für Wolle von einer der portugisieschen Schafrassen zu entscheiden, kaufte ich eine Baumwoll- Schurwollmischung aus einer der kleinen Manufakturen „A Retrosaria Apresenta“. Das Garn ist weich und in einem indigo-denim Farbton gefärbt, wunderschön. Die Wolle wurde extra für mich von der Kone gewickelt und die Banderole per Hand geschrieben. Das war so ein romantischer Moment! Ich glaube, ich werde einen leichten sommerlichen Pullover stricken. Ein Basic-Casual-Teil, das man ewig tragen kann mit Raglan-Ärmeln von oben nach unten gestrickt. Ich habe da schon so eine Idee… Vorfreude.
Neben der tollen Wolle habe ich noch eine ganz unerwartete Inspiration mitgenommen. Wusstet ihr es? Lissabon ist bergig wie die Alpen. Es geht überall bergauf- bergab.
Nicht umsonst gibt es mitten in der Stadt Aufzüge.
Gefühlt und wenn man die Treppen der Metro mitzählt, haben wir in diesen fünf Tagen siebentausend Höhenmeter gemacht.
Dem durchtrainierten, immer stramm vorneweg marschierenden Mann hinterher hechelnd, reifte in mir die Erkenntnis, dass ich endlich diese bescheuerte Sportblockade überwinden musste. Beim Nadelschwingen fleißig die Handgelenke zu trainieren reicht einfach nicht aus, um sich ganzheitlich gut zu fühlen. Wieder zuhause habe ich mich für eine Mitgliedschaft bei einem Online-Fitnesscenter entschieden. Seit zwei Wochen hüpfe ich nun mit viel Spaß in Wohn- oder Arbeitszimmer vor meinem Laptop. Herrlich, mit dieser Inspiration hätte ich nie gerechnet.
Ich glaube, ich liebe Lissabon.
Pia >j<