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Die Rauhnächte

Uff, wir haben es geschafft. Das seltsamste Jahr meines Lebens ist vorbei. Vor drei Jahren waren wir in Fukuoka und haben den Jahreswechsel ganz ohne Feuerwerk und Rückwärtszählen, dafür mit 108 Glockenschlägen begrüßt. Mei, war das schön. Und voll. So viele Menschen, dicht an dicht.

Silvester und die Neujahrsfeiertage 2017 in Japan

Menschenmassen und Gedränge, das habe ich lange nicht mehr erlebt. Wann es das wohl wieder geben wird? Wie wird es sich anfühlen? Werde ich mich wieder daran gewöhnen? Wahrscheinlich. Ich bin ein Gewohnheitstier, alltägliche Umstände werden schnell zu meiner Normalität.

Die 108 Glockenschläge sind ein buddhistisches Ritual zum Jahreswechsel. Mit jedem Schlag wird eine der Leiden schaffenden Leidenschaften vertrieben, die sich im alten Jahr angesammelt haben. Gereinigt und unbeschwert kann die Seele so ins neue Jahr starten.

Silvester 2020 und die Rauhnächte daheim

Silvester 2020 gab es keine Japanreise, keine Tempelbesuche. Stattdessen habe ich mich ein wenig mit den Rauhnächten beschäftigt. Eine spirituelle Freundin hatte mir schon vor zwei Jahren davon erzählt. Seitdem wollte ich mehr wissen, fand aber erst jetzt den Raum und die innere Bereitschaft dafür. Rund um die Rauhnächte ranken sich Mythen. Es gibt verschiedene Erklärungen und Deutungen, Sitten und Gebräuche, die damit verbunden sind.

Ich mag die Idee, dass in den Rauhnächten Mystisches passieren kann – vielleicht als Gegenpol zur geregelten, normalen Welt, in der sich (fast) alles wissenschaftlich erklären lässt. Die Rauhnächte beginnen am 25.12. und dauern an bis zum 06.01. Ihr Ursprung ist nicht eindeutig belegt. Von allen Erklärungen gefällt mir die am besten, nach der nordische Völker damit Mond- und Sonnenjahr in Einklang bringen wollten. Während der Sonnenlauf eines Jahres 365 Tage umfasst, dauern zwölf Mond-Monate nur 354 Tage. Zur Überbrückung der Differenz schufen sie den Zwischen-Zeit-Raum von zwölf mystischen Nächten. Wilde Nächte, in denen das Tor zur Geisterwelt offen steht. Wünsche erhört werden, Platz und Raum entsteht für Besinnung.

Wünsch‘ dir was

Aus der Fülle der Rituale habe ich das Verbrennen der Anhaftungen und die dreizehn Wünsche fürs neue Jahr gewählt. Die Anhaftungen sind wie die 108 Leidenschaften des buddhistischen Rituals. Alle Dinge, die nicht guttun, sollen im alten Jahr bleiben. Dazu werden sie aufgelistet und die Liste anschließend verbrannt. Das gab ein schönes Feuerchen auf der Terrasse. Die dreizehn Wünsche, einer je kommendem Monat und ein zusätzlicher für das Gesamtjahr, werden auf einzelne Zettel geschrieben. In den folgenden Nächten soll dann jede Nacht einer davon im Garten vergraben werden. Auf dass er aufkeimen und Früchte tragen möge. Hab ich nicht gemacht. Stattdessen habe ich jede Nacht einen Zettel zum Los gerollt, nummeriert und in die Wunschtüte gelegt. Im Laufe 2021 hole ich am Ende jeden Monats den zugehörigen Wunsch aus der Tüte und reflektiere, was daraus wurde.

>j< Pia

Der Beitrag ist verlinkt mit dem Samstagsplausch von Andrea Karminrot.

Credits: Collage mit Bildern von Stefan Keller auf Pixabay, Mira Cosic auf Pixabay, PatrizioYoga auf Pixabay, David Mark auf Pixabay

8 Kommentare

  • Regula

    Ein sehr schöner Brauch mit den Glockenschlägen. 108 Arten, Leiden zu schaffen? Eifersucht gehört sicher dazu, dann alle Süchte. Ich habe keine 😉

    Wir waren letztes Jahr über Neujahr in Moskau. So ein Menschengedränge habe ich mir nicht vorstellen können. Da gab es kein Durchdringen, wenn es die Schutzkräfte nicht wollten. Zum Teil war es sogar ein bisschen unheimlich, wenn hinten gestossen wurde … aber dann ging vorne wie von Zauberhand für wenige Sekunden eine Lücke auf. Professionellst, kann ich nur sagen.

    Item, ich hab nicht so gerne Menschenmengen, die Küsserei mag ich auch nicht. Aber normal ist, was wir da heute leben, überhaupt nicht. Nein, ich will mich nicht daran gewöhnen.

    Dir alles Gute im Neuen Jahr!

    Regula

    • Pia

      Nach der buddhistischen Philosophie kann selbst bedingungslose Liebe Leiden schaffen, denn ist sie wunderschön, befürchtet man, sie zu verlieren. Ein bitter-süßes Gefühl…
      Moskau, wow, das war sicherlich auch sehr beeindruckend.
      Die aktuelle Lebenssituation ist nicht normal, nein. Und daran möchte ich mich auch nicht gewöhnen.
      Auch Dir alles Gute im neuen Jahr.
      Liebe Grüße
      Pia

  • Andrea/ die Zitronenfalterin

    „Normalität“ wie wir sie nennen, ändert sich halt auch tagtäglich mit den geänderten Gegebenheiten drumherum. (Was nannte man zu unserer Kinderzeit als „Normalität“…?) Vielleicht schaue ich deshalb auch eher lockerer auf unsere derzeitigen Lebensumstände. Die werden sich auch irgendwann wieder in eine andere Richtung entwickeln.
    Diese Neujahrsrituale finde ich spannend. Das Verbrennen der Wünsche würde ich auch gern mal ausprobieren. Neujahr in Japan zu verbringen war gewiss ein ganz besonderes Erlebnis. Da bin ich fast ein wenig neidisch.
    Liebe Grüße und einen guten Start in dieses Neue Jahr wünscht
    Andrea

    • Pia

      Normalität in unserer Kindheit versus Normalität in der Kindheit unserer Kinder. Ein sehr spannender Gedanke. Nicht normal war stundenlange Beschäftigung mit dem Telefon. Telefonieren war ein sehr teures Vergnügen. (Mit der besten Freundin trotzdem ewig das Telefon blockiert). Ins Schwimmbad fuhren wir mit der Ente der Nachbarin. Zweimal bemerkenswert. Weder war es normal, dass jede Frau einen Führerschein hatte. Noch hatte ein Haushalt zwei Autos! Hinten waren wir natürlich nicht angeschnallt und wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, saßen wir zu sechst in der Ente. „Besser schlecht gefahren, als gut gelaufen“. War normal. Undenkbar heute :-D.
      Alles Gute für Dich im neuen Jahr.
      Liebe Grüße
      Pia

  • Carina

    Liebste Pia –

    Wünsche vergraben im Garten, damit sie keimen und Früchte tragen – so wunderschön! Hätte ich es gewußt, hätte ich es genau so gemacht. Jetzt möchte ich am liebsten alles über die Rauhnächte wissen, es liest sich märchenhaft.

    Mögen all Deine Wunschzettel zum Guten führen! Egal, ob sie sich auflösen, erfüllen oder Möglichkeit zur Reflektion bieten.
    😘 Carina.

    • Pia

      Danke für die Wünsche zu meinen Wünschen, liebe Carina :-*
      Du willst mehr über die Rauhnächte erfahren? Einen Fact hätte ich da noch. In den zwischengemogelten Nächten stehen die Tore zur Geisterwelt offen. Durch diese kommen die Wilden Kerle. Es ist vorsicht geboten, sie nicht auf sich aufmerksam zu machen. Frisch gewaschene weiße Wäsche mögen sie besonders. Sie stibitzen die Teile von der Leine und reiten von dannen. Aber wehe! Im Laufe des Jahres werden sie zurückkommen. Das geklaute Wäschestück werden sie als Leichentuch verwenden und ein Mitglied der Familie darin eingewickelt mit ins Totenreich entführen. Ob sie sich mit Wäschetrocknern auskennen ist allerdings nicht bekannt…
      Liebe Grüße
      Pia

  • Karin Be

    Was ist normal? Wer definiert das?
    Mein normaler Alltag vor 30/35 Jahren sah völlig anders aus, als der anderer Familien mit kleinen Kindern, da mein erstes Kind mit einer schweren Fehlbildung geboren wurde. Es hätte uns nicht geholfen in einen Vergleich einzusteigen, wir lebten unseren ganz speziellen Alltag, bis wir uns dann doch dort befanden, was andere Eltern als normal empfanden – im Förder-Hamsterrad. Musikschule, Ballettschule, Kinderturnen, Schwimmkus, und dazu noch Ergotherapie, Physiotherapie, und und und, bis Sohnemann meuterte, dann die Große und ich nur erleichtert war.
    Keine Reise in diesem Jahr, keine Verwandten- und Freundesbesuche = nicht schön, mit einem penetrantem Virus im Nacken. Aber ich habe es warm, zu essen, ein Dach über den Kopf und jede Menge Ideen mir die Zeit zu vertreiben, bis das Leben wieder normal läuft. Ganz ehrlich? Das normale Leben von vor Pandemiezeiten möchte ich aber gar nicht mehr, denn das hat meine Zeit gefressen!
    Liebe Grüße,
    Karin

    • Pia

      Liebe Karin,
      Danke für Deinen Kommentar. Was ist normal? Sehr gute Frage. Wer sagt uns, was normal ist und viel spannender: warum legt er oder sie oder wer es auch ist, das so fest? Ich denke, es war keine einfache Zeit, die Du erlebt hast, das tut mir leid. Und Du hast so recht, auch ich schätze die von Dir erwähnten Dinge sehr. Ein Dach über dem Kopf, fließend warmes Wasser, ein kuscheliges Daheim, genug zu essen, eine harmonische Familie, Natur und Wald vor der Tür, ich beschwere mich nicht. Die Pandemie und der Lockdown sind ein wenig wie die Stoptaste des Alltags. Das „normale“ Leben vor der Pandemiezeit hat Deine Zeit gefressen. Ich glaube so ging es vielen. Für die Post-Corona-Zeit gäbe es viele Veränderungsoptionen. Ob die Welt sie nutzen wird?
      Liebe Grüße
      Pia

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